Das beginnende 19. Jh. war geprägt von der romantischen Idee, Sprachurtümlichkeit (wieder) zu finden und es entstanden nicht wenige bekannte und weniger bekannte Sammlungen sog. ‚Volkspoesie‘, die neben Textproben auch kurze Beschreibungen der Dialekte enthalten, die ja (irrigerweise) als direkte sprachliche Nachfahren der mittelhochdeutschen Dichter- und Hochsprache gesehen wurden. Mit Franz Joseph Stalders Landessprachen der Schweiz von 1819 liegt ein frühes Werk der Dialektsammlung und -beschreibung für den alemannischen Sprachraum vor.

Für das mittel- und niederdeutschen Gebiet bin ich durch eine Recherche auf Google Books auf eine interessante Quelle luxemburgischer Textproben von 1830 gestoßen, die als sehr frühe gedruckte Belege des Luxemburgischen gelten können:

Franz Joseph Mone: Quellen und forschungen zur geschichte der teutschen literatur und sprache. Aachen und Leipzig: Verlag Jacob Anton Mayer. 1830.

Die Texte wurden bereits 1992 von Jean Welter in der Zeitschrift Eis Sprooch Nr. 34, S. 3-11 mit einigen Erläuterungen abgedruckt. Über Google Books ist nun das gesamte Werk endlich frei zugänglich.

Mones umfangreiche Sammlung enhält hauptsächlich Textbeispiele zu verschiedenen mittelhochdeutschen Werken und – für unseren Kontext wichtiger – ein Kapitel ‚Proben unbekannter Mundarten‘ (S. 459ff.), das Beispiele der ‚Moselmundarten‘ und ‚Mundarten der Niedermaas‘ enthält. Für die Moselmundarten konnte der Herausgeber Franz Joseph Mone (bis 1830 Professor für Statistik und Politik an der Universität Löwen) auf Mitarbeit von luxemburgischen Kollegen zurückgreifen. Namentlich genannt werden ein ‚Hr. Pergameni‘, ‚H. Gloden aus Eich in Luxemburg‘, der 1845 einen grammatischen Anhang zu Antoine Meyers ‚Luxemburgische Gedichte und Fabeln‘ beitragen wird, ‚H. Frommes‘ aus Bettendorf und ‚H. Lorenz‘, der für die ‚Mundart des Moseltals‘ zuständig zeichnet. Nach einer kurzen Einleitung, in der die graphematischen Konventionen zur Verschriftung der jeweiligen Dialekte vorgestellt werden, folgen Sprachenproben für den jeweils gleichen Text, i.e. das Gleichnis vom verlorenen Sohn.

Sprachproben liegen vor für ‚Luxemburg und die Umgegend‘, ‚Mundart im Sauertal‘, ‚Mundart der Stadt Diekirch‘, ‚Mundart der Stadt Echternach‘ und ‚Mundart im Moseltal‘. Da es sich immer um den gleichen Text handelt, lassen sich interessante Beobachtungen über die regionale Verschiedenenheit am Beginn des 19. Jh. sowie generelle Überlegungen über die historische Entwicklung des Luxemburgischen anstellen.

Auffällig ist z.B., dass in den Texten durchweg die Formen Sun, Sin (anstatt Jong) für ‚Sohn, Söhne‘ verwendet werden; Papp erscheint als Voder, Vueder. Für das Sauertal dokumentiert Mone seltsame Formen des Partizips Perfekt, uchefàngen ‚ugefaangen‘, chefröes ‚gefriess‘, chelòs ‚gelooss‘, deren ch-Schreibungen darauf hindeuten, dass die rheinischen, frikativierten g-Realisierungen damals auch noch weiter südlich galten. Auch finden sich heute weitgehend abgebaute Imperfektformen der Verben: lùf (anstatt si gelaf) ‚lief‘, foung (anstatt hu gefaangen) ‚fing‘.

Das gesamte Kapitel dieser luxemburgischen Sprachproben kann hier angeschaut werden (PDF).

Alles in allem handelt es sich um eine für das Luxemburgische wertvollen Beitrag zum spärlichen Bestand an Textzeugen des beginnenden 19. Jahrhunderts.

Neben dem wissenschaftlichen Wert dieser Fundstücke für die Sprachgeschichte des Luxemburgischen sei abschließend noch der Nutzen von umfangreichen, frei zugänglichen Online-Textarchiven betont. Gerade die überbordende Sammel- und Publikationswut des beginnenden 19. Jh. droht zur Zeit in den verschiedensten Archiven und Bibliotheken für die systematische Recherche verloren zu gehen. Nur durch umfangreiche Digitalisierungen und Online-Publikationen lässt sich meiner Meinung nach dieser wissenschaftlich unschätzbare Wert für die Forschung erhalten. Google Books, als einer der großen Akteure im Feld der Buch-Digitalisierung, aber auch andere Digitalisierungsprojekte wie Europeana, geben insbesondere für kulturhistorische Forschungen wertvolle Hilfestellungen.