François Ganglers (1788-1856) Lexicon der Luxemburger Umgangssprache (LLU) wurde im Rahmen des FNR-Projekts ‚LexicoLux‚ in eine öffentlich zugängliche Online-Datenbank überführt und mit den zwei weiteren luxemburgischen Wörterbüchern vernetzt.
Bei der Arbeit mit diesem Wörterbuch war ich immer wieder überrascht über die Fülle von hauptsächlich französischen und deutschen Zitaten, die Gangler in den Wörterbuchtext einbaute und teilweise auch mit luxemburgischen Übersetzungen versah und es drängt sich die Frage auf, woher Gangler seine Quellen nahm und wie er sie integrierte.
Gangler sieht sich durchaus in der Tradition der beginnenden Dialektlexikographie des 19. Jh., wenn er im Vorwort schreibt, dass er „etwas Gemeinnützliches, und in die bürgerlichen Beziehungen Eingreifendes in seiner Muttersprache“ (LLU: V) leisten wollte. Das Wörterbuch mit seinen rund 8.000 Lemmata enthält überwiegend Substantive, während die übrigen Wortarten teilweise seltener vertreten sind. Das Wörterbuch ist als ein lexikographischer Zwitter zu bezeichnen: Einerseits strebt es an, Elemente des lokal-luxemburgischen Alltagswortschatzes zu dokumentieren, die nicht ohne weiteres aus dem Standarddeutschen abgeleitet werden können, indem z.B. Lemmata wie Traufel ‚Maurerkelle’, Langkef ‚Langwagen’ aufgenommen werden. Andererseits finden aber auch zahlreiche Wörter aus dem Französischen, die einer gehobenen Verwaltungs- und Techniksprache angehören (etwa Traitement d’attente ‚Wartegeld’, Porte-cochère ‚Torweg’, Artiste vétérinaire ‚Tierarzt‘, Récipiendaire ‚der Aufzunehmende‘, Roturier ‚qui n’est pas noble‘, Surnumérariat ‚die Überzähligkeit‘) und die sicherlich auch nicht dem Alltagswortschatz des 19. Jh. angehört haben. Viele dieser Lemmata sind heute nicht mehr im Gebrauch und wurden auch in den auf Gangler folgenden Wörterbüchern nicht mehr aufgenommen. Es ist weiterer Forschung vorbehalten, den Sprachkontakt mit dem Französischen seit dem 19. Jh. detailliert zu untersuchen, doch kann hier für Ganglers Wörterbuch festgehalten werden, dass es ihm neben der Dokumentation typisch luxemburgischer Ausdrücke auch um die Schaffung eines Konversationslexikons ging, wie er im Vorwort (S. V) auf hervorhebt. In diesem Zusammenhang ist es interessant, einen Blick auf die Auswahl und Beschreibung der Lemmata zu werfen. Für spezielle, aus dem Französischen übernommene Ausdrücke fallen längere Worterklärungen auf, in denen häufig keine Luxemburg-Bezüge sondern auffällig viele Referenzen auf Frankreich erkennbar sind. Es drängt sich daher die Vermutung auf, dass Gangler in diesen Fällen aus anderen Quellen abgeschrieben hat – eine gängige und durchaus nicht ehrenrührige Praxis der älteren Lexikographie. Besonders bei den Buchstabenstrecken vorne im Alphabet gibt der Autor stellenweise kurze Quellenangaben an, die teilweise wenig aussagekräftig sind (etwa Allg. Encycl., Convers.=Lex., Dict. technologique, Dict. des Dict., Dict. de la convers., Dict. hist., Adelung u.a.). Infolge der fortgeschrittenen Digitalisierung und Durchsuchbarkeit von Bibliotheksbeständen ist es heute möglich, die Quellen, aus denen Gangler für sein Konversationslexikon schöpfte, ausfindig zu machen, indem ‚verdächtige‘ Textabschnitte in die Suchmaschine von ‚books.google.com‘ eingegeben werden. Es ergibt sich damit, dass Gangler sich bei folgenden Quellen reichlich für Worterklärungen, Zitate und Belegstellen bedient hat:
- Denis Diderot/d’Alembert: Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. Paris 1782ff.
- François Noel, L. J. M. Carpentier: Dictionnaire des inventions, des origines et des découvertes. Bruxelles 1838
- Encyclopédiana: Recueil d’anecdotes anciennes, modernes et contemporaines tiré de tous les recueils de ce genre publiés jusqu’à ce jour. Paris 1843
- Sallentin, Louis: L’improvisateur français, Paris 1805
- François Noel, L. J. M. Carpentier: Nouveau dictionnaire des origines, inventions et découvertes, dans les arts, les sciences, la géographie, le commerce, l’agriculture, etc. Paris 1828.
- Revue de Paris. Paris 1832
- François, Jean: Dictionnaire roman, wallon, celtique et tudesque. Bouillon 1777.
- Dictionnaire technologique ou Nouveau dictionnaire universel des arts et métiers et de l’économie industrielle et commerciale. Bruxelles 1839
- Dictionnaire des dictionnaires ou vocabulaire universel et complet de la langue française, Bruxelles 1839
Deutsche Quellen
- Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches wörterbuch der hochdeutschen mundart. Wien 1808
- Johann Samuel Ersch, Johann Gottfried Gruber: Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste. Leipzig 1831
- Wilhelm Vollmer, Dr. R. G. Wiener: Vollständiges Wörterbuch der Mythologie aller Nationen: eine gedrängte Zusammenstellung des Wissenswürdigsten aus der Fabel- und Götter-Lehre aller Völker der alten und neuen Welt. Stuttgart 1836
- Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. Leipzig 1827
- Rheinisches Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände: Hrsg. von einer Gesellschaft rheinländischer Gelehrten. In 12 Bänden. A-Z. 183?-1845.
Aus dieser Liste ist ersichtlich, dass sich Gangler besonders an anderen Enzyklopädien und Kompilationen verschiedener Enzyklopädien orientiert hat. Gerne bedient er sich bei der ‚Encylopédie‘ von Diderot und d’Alembert und dem ‚Improvisateur Français‘. Adelungs ‚Grammatisch-kritisches wörterbuch‘, das 20 Mal explizit zitiert wird, dient ihm zur Etymologisierung verwandter Wörter. Durch die Übernahmen aus französischen und deutschen Quellen zur lexikographischen Bearbeitung einer luxemburgischen Lemmaliste fabriziert Gangler Bricolage-artige Wörterbuchartikel, was durch den folgenden Beispielartikel zu Pelote ‚Nadelkissen‘ gezeigt werden kann. In diesem Artikel stammen von Gangler lediglich die deutsche und die englische Übersetzung des Lemmas, der Rest des Artikels inklusive des angehängten Rätsels wortwörtlich aus dem Improvisateur Français.
Pelote, f., das Nadelkissen. — Engl. plotton. — On appelle pelote, un petit coussinet que l’on voit sur les tables de toilettes, ou sur les bureaux, et qui sert aux femmes pour ficher leurs aiguilles, et aux commis pour ficher des épin-gles.
»Que mon sort est fâcheux! hélas! ami lecteur,
Souvent en te servant, j’éprouve ta rigueur,
Je ne puis cependant t’accuser d’injustice:
Ce n’est qu’en me perçant le corps
Qu’on peut de moi tirer quelque service.
Aussi sans murmurer je cède à tes efforts.
Quoique je sois souvent assez brillante,
Ma richesse n’est qu’apparente.
Enfin je ressemble au gascon:
Habit doré, ventre de son.«
Neben diesen unmittelbaren Übernahmen verwendet Gangler seine Quellen aber auch dazu, beliebige Artikel mit Belegen und Worterklärungen anzureichern, die keinen Zusammenhang mit dem Ursprungsartikel haben. So lautet z.B. Ganglers Eintrag zu Peif:
Peif, pl. -en, f., 1° die Pfeiffe, le sifflet, la pipe; 2° die Ofenröhre, les tuyaux, buses de fourneau. — ‚t Peife‘ krekelen, die Ofenröhren knistern, les buses craquetent. — E‘ Schong Peifen, ein Fuß Ofenröhre, un pied de tuyaux de fourneau. — Op èngem Fäsche‘ Polfer hoit de‘ Jean Bart seng Peif oi’gefângen, Jean Bart allumait sa pipe assis sur un baril rempli de poudre à canon.
Den letzten französischen Beispielsatz hat er wahrscheinlich wiederum aus dem Improvisateur Français übernommen, dort findet er sich kurioserweise allerdings im Artikel zu Baril, Barillet, Barique. Interessanterweise hat Gangler hier den französischen Ausgangssatz auch ins Luxemburgische übersetzt.
BARIL, BARILLET, BARIQUE. — L’Académie écrit BARRIQUE.
* On sait que Jean Bart allumait sa pipe, assis sur un baril rempli de poudre à canon.
Ähnlich verfährt Gangler im Artikel Peng ‚Pein‘, wo er einer Grabinschrift auf Französisch und Latein, die aus verschiedenen französischen Textsammlungen und Textmusterbüchern bekannt ist, eine Übersetzung ins Luxemburgische voranstellt.
Peng, pl. -en, f., die Pein, der Schmerz, la douleur. — Celt. pœn; holl. peen; niederrh. Dial. Ping. L’accoustumance à porter le travail est accoustumance à porter la douleur: labor callum obducit dolorem. (Montaigne.)
Hei leit meng Fra, Gott tréscht, befreit vun aller Peng.
Wé as se só gud do fir hir Róh a‘ fir meng!
Ci-gît ma femme. Oh! qu’elle est bien,
Pour son repos et pour le mien.
Clausa sub hoc tumulo conjux jacet. O bene factum!
Nam requiesco domi dum requiescit humi.
Die direkte Übernahme von französischen (überwiegend) und deutschen (selten) Quellen hat bei Gangler also zwei Funktionen: Erstens werden sie für die Wortklärung von luxemburgischen Lemmata herangezogen und zweitens dienen sie als Vorlage zur Schaffung von übersetzten luxemburgischen Beispielsätzen. Der Autor versucht auf diese Weise, Wörter aus der Gebersprache Französisch ins Luxemburgische zu importieren, um mehr Bildungssprachlichkeit oder ganz allgemein Schriftsprachlichkeit für das überwiegend gesprochene Luxemburgische zu etablieren.