Der Begriff Schrobiltgen (inkl. Schreibvarianten) kommt im Raum Luxemburg als Appellativ sowie als Familienname vor. Das Appellativ begegnet in der Schreibung als Schrobiltchen, Schrobildchen, der Familienname speziell in Luxemburg heute nur mehr als Schrobiltgen. 1880 gab es in Luxemburg für den Familiennamen noch vier Schreibweisen: Schrobildchen, Schrobildgen, Schrobilgen, Schrobiltgen.[1] Zum Familiennamen Biltgen findet sich heute die Variante Bildgen, 1880 zusätzlich Bildchen.[2] Die Schreibung -tg-, -dg- im Luxemburgischen wie überhaupt im Westmitteldeutschen ist archaisch für -tch-, -dch- und kommt praktisch nur mehr in Eigennamen (Familiennamen, Ortsnamen) vor.
Verbreitung der Familiennamen Schrobiltgen und Biltgen
Im Luxemburger Telefonbuch von 2009 sind insgesamt 13 Träger des Familiennamens Schrobiltgen verzeichnet. Weitaus häufiger, 158 Mal, erscheint der Familienname in Wallonien. Hier konzentriert er sich auf den Raum Lüttich und das Areler Land.[3] Als Familienname finden wir ihn, so laut Frankreichs Geburtsregister aus dem Zeitraum zwischen 1891 und 1915, insgesamt 13 Mal auch in Frankreich.[4] Hier ist sein Hauptverbreitungsgebiet das Département Haute Marne in der Region Champagne-Ardenne. Doch da der Name in Frankreich im Vergleich zu Wallonien nicht besonders häufig auftritt, ist anzunehmen, dass er vor 1891 in die genannte Region importiert wurde. In Deutschland erscheint der Name, so laut Telefonbuchdaten der Deutschen Telekom von 2009, in der Schreibung Schrobildgen, allerdings nur 2 Mal im Raum Saarbrücken.
Das Verbreitungsgebiet des Familiennamens Biltgen ist dagegen auf Luxemburg beschränkt. Im Luxemburger Telefonbuch von 2009 ist Biltgen 17 Mal und Bildgen 25 Mal eingetragen.
Das Appellativ Schrobiltchen, -dchen und erste etymologische Überlegungen
Die hohe Dichte des Familiennamens Schrobiltgen im Areler Land lässt den Schluss zu, dass auch dort sein Ursprung liegen könnte. Dafür spricht nicht nur seine gegenwärtige Verteilung, sondern auch das Luxemburgische des Areler Landes. Hier kommt nämlich Schrobiltchen auch als Appellativ vor. Dieses bedeutet ‘hässliches Gesicht’.[5] Daneben finden wir Schrobildchen in Vianden, und zwar mit der Bedeutung ‘streitsüchtiger Mann’ (LWB).
{xtypo_sticky}Die Gleichheit zwischen dem Appellativ und dem Familiennamen ist gewiss kein Zufall. Es liegt die Vermutung nahe, dass der Familienname Schrobiltgen ursprünglich Übername war und einen hässlichen und/oder streitsüchtigen Menschen bezeichnete.{/xtypo_sticky}
Doch wie lässt sich die weitere Herkunft von Schrobiltgen erklären? Als erstes darf festgehalten werden, dass es sich um ein Kompositum handelt, das in Schro- und -biltgen zu zerlegen ist. Das erste Element ist mit hoher Wahrscheinlichkeit das Adjektiv lb. schro. Seine Semantik ist ‘streng, rauh (LLU); ‘wunderlich; hässlich; streng, bösartig’ (WLM); ‘boshaft, bösartig, rücksichtslos; ungezogen, unartig u. ä.’ (LWB). Außerhalb des Luxemburgischen finden wir das Adjektiv in lothr. schroh ‘streng, rauh; drollig; schlecht, armselig’ (LotWB); rhein. schrah ‘hässlich, nicht schön; wenig höflich, grob (vom Menschen); rücksichtslos; ungezogen, verkehrt, unnachgiebig, unverträglich, zanksüchtig, streng, rauh, heftig, plötzlich sehr aufgeregt, zornig, bösartig, gefährlich u. ä.’ (RhWB), pfälz. schroh ‘rauh, grob; struppig, ungepflegt, unansehnlich, hässlich; roh, ungehobelt, ungesittet, flegelhaft, verwegen; unfreundlich, widerwärtig, niederträchtig, böse, schlecht, schlimm, übel; unberechenbar, jähzornig, aufbrausend, zu Tätlichkeiten neigend u. ä.’ (PfWB). Zugrunde liegt das Adjektiv mhd. schrāch, schrōch ‘mager, dürr, rauh, grob’ (Lexer).
Das zweite Element könnte man auf den ersten Blick mit lb. Bild ‘Bild’ bzw. dem entsprechenden Diminutiv Bildchen ‘kleines Bild’ in Verbindung bringen. Da das Diminutivsuffix -chen u. a. pejorisierende Funktion hat, könnte Bildchen einfach nur ‘schlechtes Bild’ > ‘schlechtes Abbild’ bedeuten.
{xtypo_sticky}Als Ganzes, so könnte man schließen, wäre dann die Semantik von Schrobiltgen ‘hässliches, grobes, schlechtes Abbild’. Doch eine Verbindung mit dem Wort für Bild herzustellen, wäre ein voreiliger Trugschluss!{/xtypo_sticky}
Historische Belege des Familiennamens Schrobiltgen
So naheliegend die soeben angedachte Etymologie von Schrobiltgen sein könnte – sie muss in Bezug auf -biltgen in Frage gestellt werden. Der Grund dafür sind einzelne historische Belege. Der wohl berühmteste Träger dieses Familiennamens war der Luxemburger Rechtsanwalt und Gerichtsschreiber Mathieu-Lambert Schrobilgen (1789–1883) (zur speziellen Schreibung mit einfachem g wie in diesem Fall, siehe letzten Abschnitt). Im Zusammenhang mit einer ausführlichen Biografie über diese auch sonst vielseitige Persönlichkeit werden Quellen des 17. Jhs. erwähnt, in denen der Familienname Schrobiltgen in diversen auffälligen Schreibweisen überliefert ist: Schrabeiltgen, Scrabeltie, Chraubultien, Schraubultie, Schrobiltie.[6] Am interessantesten für uns sind jene Schreibweisen, die französischen Einfluss zeigen. Diesen erkennt man an mehreren Stellen: 1. An der Schreibung i für den deutschen Frikativ ch, der im Luxemburgischen palatal gesprochen wird. Er hört sich eigentlich an, wie ein stimmloses j und ist damit identisch mit dem halbvokalischen französischen i in Wörtern wie pied oder in Namen wie Thionville. Für den frankophonen Schreiber war es daher sehr naheliegend, das Zeichen i für diesen auch seiner Sprache nicht unbekannten Laut zu wählen. 2. An der Schreibung Ch- und -au- in Chraubultien und -au- in Schraubultie. Diese beiden Grafien verraten ein weiteres Detail: Das -u- in -bultien, -bultie weist auf die Aussprache ü! Dies bedeutet, wir haben es mit einem Namen zu tun, der ursprünglich ü hatte, das im Luxemburgischen durch Entrundung zu i wurde.
{xtypo_sticky}Der wichtigste Hinweis, den die Belege zeigen, ist somit folgender: Statt von -biltgen wäre von *-bültgen auszugehen. Und dieses *-bültgen passt nicht mehr zum Wort für Bild, weil dieses nie ü hatte.{/xtypo_sticky}
Weiterführende etymologische Überlegungen von Schrobiltgen, Biltgen auf der Grundlage der historischen Belege
Was für eine Etymologie kommt bei *-bültgen dann letztlich in Frage? Als Erstes gilt festzuhalten, dass kein Wort mit mhd. kurzem ü in geschlossener Silbe zu Grunde liegen kann. Beispiele wie mhd. müller ‘Müller’ > lb. Mëller, mhd. vüllen ‘füllen’ > lb. fëllen zeigen nämlich, dass mhd. kurzes ü in geschlossener Silbe im Luxemburgischen ë ergeben hat. Dementsprechend hätte mhd. *-bültgen im Luxemburgischen *-bëltgen ergeben. Das Appellativ lb. Bëlles, m. ‘Tollpatsch, Grobian, ungeschlachter Mensch’ (LWB), das vielleicht vom sonst im Luxemburgischen nicht vorkommenden Wort für Bulle abgeleitet wird, scheidet somit aus. Für das i in Schrobiltgen bleiben trotzdem immer noch zwei mögliche Vorgänger: 1. Mhd. kurzes ü in offener Silbe. 2. Der Diphthong mhd. üe.
Dass mhd. kurzes ü in offener Silbe im Luxemburgischen i ergeben hat, zeigen Beispiele wie mhd. müle ‘Mühle’ > lb. Millen; mhd. vülīn ‘Fohlen’ > lb. Fillen. Beispiele für mhd. üe > lb. i sind dagegen mhd. stüele ‘Stühle’ > lb. Still; mhd. vüelen ‘fühlen’ > lb. fillen. Die Diminutivform von lb. Millen lautet Millchen, jene von lb. Stull ‘Stuhl’ Stillchen. Wir stellen fest, dass der Name Schrobiltgen mit lb. Millchen ‘kleine Mühle’ und lb. Stillchen ‘kleiner Stuhl’ einen Reim bildet.
Die Form -biltgen hört sich nun, unter der Berücksichtigung der Belege, demnach so an, als ob wir es mit einer Diminutivbildung zu einer Grundform mhd. *bule, *büle oder mhd. *buol(e), *büel(e) zu tun hätten. Anschluss an ein tatsächlich im Mittelhochdeutschen belegtes Wort fänden wir mit mhd. buole m. Dieses bedeutet ‘naher Verwandter, Geliebter, Liebhaber’ (Lexer) und entspricht standardnhd. Buhle. Direkte Reflexe dieses Wortes sind im Appellativschatz des Luxemburgischen sowie der Nachbarmundarten nicht vertreten. Wohl aber könnten lb. (Schro-)biltgen sowie der Familienname Bildgen, Biltgen eine entsprechende Diminutivform darstellen.
{xtypo_info}Auszugehen ist demnach von mhd. *büelechīn, das über *büelchen > *bǖlchen im Zentralluxemburgischen lautgesetzlich *Billchen ergab, und dieses würde einem standardneuhochdeutschen Bühlchen entsprechen.{/xtypo_info}
In der Tat ist das Wort als solches im DWB vermerkt. Das Diminutivsuffix -chen hätte im Luxemburgischen auch in diesem Fall pejorisierende Funktion, weshalb der Begriff als Ganzes ‘schlechter Mitmensch’ bedeuten konnte. In Verbindung mit dem Adjektiv lb. schro wurde die ohnehin bereits pejorative Semantik des Simplex Biltgen mit ‘hässlicher, grober (schlechter Mitmensch)’ zusätzlich verstärkt.
{xtypo_info}In jedem Fall handelt es sich somit sowohl bei Schrobiltgen als auch beim Familiennamen Biltgen ursprünglich um Übernamen für einen unangenehmen Zeitgenossen.{/xtypo_info}
Abschließende Bemerkungen zu lautlichen Entwicklungen
Das -t- oder -d- in -biltgen/-bildchen hat epenthetische Funktion. Auch in lb. Stillchen ‘kleiner Stuhl’ ist gelegentlich ein t zu hören, und deshalb kann dieses Wort mit lb. Bildchen ‘kleines Bild’ einen Reim bilden. Dass es sich beim t bzw. d in Schrobiltgen, Biltgen, Bildgen um einen fakultativen Einschub handelt, wird besonders an der t-losen Variante Schrobilgen ersichtlich. Die genaue Aussprache sowohl des Namens als auch des Appellativs ist somit: [ʃʀoˈbiltɕən]. Dasselbe gilt für den Familiennamen Biltgen: [ˈbiltɕən]. Das [t] ist ein Übergangslaut und dient der Ausspracheerleichterung. Dass in den Wörterbüchern das Appellativ, etwa im Gegensatz zu Millchen, Stillchen, als Schrobiltchen, Schrobildchen statt *Schrobillchen verschriftlicht wird, ist wohl dadurch zu erklären, dass man das Wort mit Bild in Verbindung brachte. Doch Schrobiltgen und Biltgen stehen mit Bild, wie hier gezeigt wurde, in keinem Zusammenhang.
Exkurs: Weitere Bemerkungen zu den historischen Belegen
Abkürzungen
ahd. |
althochdeutsch |
lb. |
luxemburgisch |
m. |
Maskulinum |
mhd. |
mittelhochdeutsch |
mhd.-md. |
mittelhochdeutsch-mitteldeutsch |
mhd.-mfrk. |
mittelhochdeutsch-mittelfränkisch |
mnl. |
mittelniederländisch |
nhd. |
neuhochdeutsch |
nhd.-mda. |
neuhochdeutsch-mundartlich |
nnd. |
neuniederdeutsch |
nnl. |
neuniederländisch |
Literatur
DWB = Deutsches Wörterbuch. Von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. Leipzig 1854–1960.
Geopatronyme.com. Tous les noms de famille. URL: http://www.geopatronyme.com
König, Werner: dtv-Atlas zur deutschen Sprache. 18. Auflage. München 2007.
Les Annuaires du Luxembourg. Édition 2009.
Lexer, Matthias 1872–1878: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bände. Leipzig. Nachdruck Stuttgart 1970.
LLU = Lexicon der Luxemburger Umgangssprache. Von Jean-François Gangler. Luxemburg 1847.
LSA = Luxemburgischer Sprachatlas. Herausgegeben von Ludwig Erich Schmitt. Marburg 1963.
LWB = Luxemburger Wörterbuch. Herausgegeben von der Wörterbuchkommission. 5 Bde. Luxemburg 1950–1975. Ergänzungsband 1977.
Mersch, Jules: Mathieu-Lambert Schrobilgen 1789–1883. In: Biographie nationale du pays de Luxembourg. Fascicule 01. Luxemburg 1947. S. 17–99. URL: http://www.luxemburgensia.bnl.lu/cgi/luxonline1_2.pl?action=fv&sid=luxbio&vol=01&page=16&zoom=1
Müller, Nikolas: Die Familien-Namen des Grossherzogthums Luxemburg. Luxemburg 1887.
Patronymica Romanica. Dictionnaire historique de l’anthroponymie romane. URL: http://patrom.fltr.ucl.ac.be/contemporain/contemporain.cfm
Reuland, Jos: Das Areler Land. Esch 2006.
Telefonbuchdaten der Deutschen Telekom. Ausgabe 2009.
WLM = Wörterbuch der luxemburgischen Mundart. Luxemburg 1906.
[1] Müller, S. 101.
[2] Müller, S. 40.
[3] Patronymica Romanica. Dictionnaire historique he l’anthroponymie romane. URL: http://patrom.fltr.ucl.ac.be/contemporain/contemporain.cfm
[4] Geopatronyme.com. Tous les noms de famille. URL: http://www.geopatronyme.com
[5] Reuland, S. 86.
[6] Mersch, S. 19. URL: http://www.luxemburgensia.bnl.lu/cgi/luxonline1_2.pl?action=fv&sid=luxbio&vol=01&page=19&zoom=1
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