• (c) Archives de la Ville de Luxembourg

    (c) Archives de la Ville de Luxembourg

    Das Korpus soll öffentliche und administrative top-down-Sprachgebrauch in sog. langen 19. Jahrhundert widerspiegeln. Hauptsächliche Datengrundlage stellt eine vornehmlich zweisprachige Textsorte dar, d.h. öffentliche Bekanntmachungen der Stadtverwaltung der Stadt Luxemburg. Dabei handelt es sich um typischerweise großformatige Plakate, deren Aushang in Luxemburg seit dem 18. Jahrhundert gängige Praxis war, um einem sich etablierenden Bürgertum Informationen und Entscheidungen zu Verwaltungsangelegenheiten zugänglich zu machen. Typische Orte waren strategische und viel frequentierte Orte wie Rathäuser oder Kirchen. Auf diese Weise trugen sie zur Nutzung des öffentlichen Raums zur Kommunikation und zur Entstehung eines öffentlichen Sprachraums bei. Thematisch wird ein weites Spektrum an administrativen Belangen behandelt wie etwa Holzverkauf, Verhaltensregeln zur Karnevalszeit, Besteuerung von Hunden, u.v.m. Aus einer Gesamtmenge von ca. 7000 Plakaten, die im Archiv der Stadt Luxemburg liegen, wurden ca. 2400 für das Projekt ausgewählt. Dabei wurde auf eine ausgeglichene Abdeckung des gesamten Zeitraums geachtet. Die meisten der Bekanntmachungen liegen in einer zweispaltigen Gestaltung in den Sprachen Französisch und Deutsch vor, einige wenige auch in der Sprachenpaarung Niederländisch-Französisch und Französisch-Luxemburgisch vor. Die Textgröße der einzelnen Anschlagzettel variiert zwischen 700 und 51.000 Zeichen, so dass sich in der Summe eine Zahl von 1,8 Mio. Wortformen ergibt, die für die Untersuchung genutzt werden können. Da die Sammlung des Stadtarchivs Luxemburg den Zeitraum von der Annexion durch Napoleon 1795 bis zum Ende des ersten Weltkrieges durchgängig abdeckt, ist auch die erforderliche zeitliche Tiefe gegeben, um eine diachrone Analyse durchzuführen.

  • Um den Hintergrund der Sprachpolitik zu analysieren und auch um eine breitere Basis für die Aussagen zu systemischen Aspekten der Standardisierungen zu haben, werden außerdem die Ausgaben des Verordnungs- und Verwaltungsblattes des Großherzogtums Luxemburg hinzugezogen. Das sog. Mémorial A im weiteren Sinne enthält einen Großteil der legislativen und verordnungsrechtlichen Akten von 1617 bis heute. Das Mémorial A im engeren Sinne (Mémorial législatif et administratif du Grand-Duché de Luxembourg), das ab 1832 als offizieller Gesetzesanzeiger fungiert, deckt den Zeitraum 1832 bis 1920 ab und umfasst die Summe von über 7400 Dokumenten. Ungefähr 5200 stehen davon als gescannte und in pdf konvertierte Versionen freizugänglich auf der Internetseite des Service Central de Législation du Gouvernement luxembourgeois (www.legilux.public.lu) zur Verfügung. In der Zeit der Annexion durch das napoleonische Frankreich ist der Großteil der Dokumente zwar einsprachig französisch (Bulletin des Lois), ab 1814 mit der Herausgabe des Offiziellen Journal des Wälder=Départements, dem Vorläufer des Mémorial législatif et administratif, liegen jedoch durchgängig alle Akten – bis auf wenige Ausnahmen – in parallel angeordneten französischen und deutschen Versionen vor.

Die mehrsprachigen Editionen der „Affichen“ sowie der Mémorials als zwei äquivalente Texte selben Inhalts sind in mehrfacher Hinsicht interessant. So handelt es sich jeweils um ein homogenes Korpus mit konstanten situativen und kontextuellen Bedingungen für beide Sprachversionen, die eine Vergleichbarkeit der beiden Texte zulassen. Da zumindest für die Anfangszeit davon auszugehen ist, dass es sich bei den deutschen Texten um eine unmittelbare Übersetzung der französischen Originalversion handelt, ist umso mehr mit Interferenzen zu rechnen. Diesen können durch die parallele Anordnung der beiden Versionen direkt aufgedeckt werden. Während die Kontrastive Linguistik beispielsweise sonst den Umweg über die Konsultation von Grammatikbeschreibungen und Wörterbücher zur Rekonstruktion eines Einflusses nehmen muss und immer nur indirekt auf Interferenzen schließen kann, können in den hier vorliegenden Paralleltexten Realisierungen in der einen Sprache unmittelbar auf Form- oder Wortgleichheit in der anderen Sprache überprüft werden und damit Replikation nachgewiesen werden. Dies ist für Untersuchungen im Umfeld der Sprachkontaktforschung umso attraktiver als dass gerade auf der Ebene von grammatischen Phänomenen ein Nachweis von kontaktinduzierten Veränderungen immer wieder als problematisch diskutiert wird (vgl. Heine 2009, Milroy). Außerdem wird auf diese Weise Forderungen nachgegangen, Paralleltextkorpora auch für historisch-diachrone Fragestellungen heranzuziehen (vgl. Claridge 2008). Es handelt sich bei diesen beiden Korpora somit um zwei der wenigen historischen Paralleltextkorpora.

Hinsichtlich funktionaler Aspekte werden in einem separaten Arbeitsschritt einige prägungsrelevante Merkmale und Strukturen des Hauptkorpus „Öffentliche Bekanntmachungen“ sowie der Subkorpora Mémorial A und B untersucht. Dabei kommen Aspekte, wie z.B. Sprachenwahl, Verbreitungskontext, Druckernachweis, Schreiberhände, Auflagenentwicklung, Zierleisteninventar/Ornamentik (Layout), Vektorenrichtung, Absatzentwicklung, Farbgebung, Typographie und Diskursbereiche als Zugriffskategorien in Betracht. Auf diese Weise können sowohl die Entwicklungen der verschiedenen Textsorten als auch der Verlauf von sprachlichen Prozessen der Standardisierung im gesamten 19. Jahrhundert nachgezeichnet werden.

  • Ein Korpus mit Daten aus dem östlichen angrenzenden, heute bundesdeutschen Gebiet erlaubt den Vergleich mit der Top-down-Kommunikation in derselben Region, die jedoch nicht durch eine solch lange Mehrsprachigkeitssituation gekennzeichnet ist, wie es für Luxemburg der Fall ist. Dabei wurde aus den Beständen in den Landes(haupt)archiven Koblenz und Saarbrücken ein Vergleichskorpus mit derselben Textsorte des Kernkorpus‘, d.h. öffentlichen Bekanntmachungen zusammengestellt. Die Erkenntnisse aus den rund 300 Plakate liefern ungefähre Anhaltspunkte zur Bestimmung der luxemburgischen Spezifik.
  • Das Subkorpus Mémorial B (1854-1875), das unter dem Namen Memorial des Großherzogthums Luxemburg firmiert, beinhaltet insg. 1.235 zweisprachige Dokumente der Verwaltung (sowie amtliche und nicht-amtliche Mitteilungen, die das Großherzogtum betreffen). Eine begrenzte Auswahl von Dokumenten aus dem Korpus Mémorial B wird u.a. für diskursanalytische Untersuchungen herangezogen. Für eine Analyse zum Sprachgebrauch oder zu den Sprachenwahlen in den Druckvermerken, den Kolophonen, können etwa mit weiterer Konkordanzsoftware (AntConc) auch Abfragen im gesamten Korpus Mémorial B durchgeführt werden.
    Luxemburger Wort vom 17. Oktober 1905

    Luxemburger Wort vom 17. Oktober 1905

  • Gesellschaftliche und sprachideologische Positionen/Einstellungen können anhand von meta-linguistischen Äußerungen untersucht und kategorisiert werden. Zu diesem Zweck werden Daten aus fünf luxemburgischen Tageszeitungen (Luxemburger Wort, Bürger- und Beamten Zeitung, Das Vaterland, Der Wächter an der Sauer) sowie aus den gesammelten parlamentarischen Plenarprotokollen herangezogen. Die Zeitungsdaten decken einen Zeitraum von 1848-1920 und verschiedene politische Ausrichtungen ab, z.B. Luxemburger Wort (eher klerikal) oder Der Wächter an der Sauer (eher liberal). Dabei handelt es sich um insg. 625.549 Dateien, die in digitalisierter Form vorliegen und die variablenbasiert mit Konkordanzsoftware (AntConc) durchsucht werden, nachdem sie blattspezifisch sortiert wurden.Die Plenarprotokolle der verschiedenen Parlamentsversammlungen und Parlamente (Compte-rendu des séances des États du Grand-Duché de Luxembourg sowie Compte-rendu de la Chambre des Députés du Grand Duché de Luxembourg) bilden ein weiteres Subkorpus, welches derzeit aus insgesamt 18 Dokumenten besteht. Das Subkorpus Plenarprotokolle spiegelt nicht nur die Entwicklung des einsetzenden Parlamentarismus in der Phase der Personalunion mit den Niederlanden sowie die Ausformung einer parlamentarischen Debattenkultur von 1842 bis 1920, sondern es können so auch metasprachliche Diskurse, das Verhältnis der Sprachenwahlen sowie kontaktsprachliche Merkmale, z.B. Code-Switching, beobachtet und erhoben werden. Auch funktionale Aspekte der Textsorte Plenarprotokolle, wie beispielsweise der Gebrauch der Druckschriften Antiqua/Fraktur oder die Praxis, die bei der Verwendung der parlamentarischen Stenographie maßgeblich waren.

    Auszug

    „Es ist weiter auch nicht zu leugnen, daß das Zweisprachensystem ebenfalls vom praktischen Standpunkte manche Vorteile bietet: viele unserer Landsleute haben im Auslande, und namentlich in Frankreich Stellungen gefunden, die sie oft nur dem Umstande zu verdanken haben, daß sie zweier Sprachen mächtig sind. (…)

    Was uns Luxemburger angeht, so muß man bedenken, daß wir eigentlich drei Sprachen zu lernen haben, indem weder das Deutsche noch das Französische unsere Muttersprache ist.

    Auf die Aussprache des Hochdeutschen übt unser Luxemburger Platt einen ganz bedauerlichen Einfluß aus. Wenn es wahr ist, was Schopenhauer schreibt: „Dem Deutschen ist es gut, etwas lange Worte im Munde zu haben, denn er denkt langsam und sie geben ihm Zeit zum Besinnen“, — dann denkt der Luxemburger ungeheuer langsam.“

  • Sprachpolitische Regelungen/Durchführungsbestimmungen, aber auch behörden-interne Kommunikation, die prozess-dynamisch sprachpolitische Entscheidungen zum Gegenstand haben, wurden zugeordnet und periodenspezifisch erfasst. Auf diese Weise können einige bestehende Lücken innerhalb der Sprachgesetzgebung Luxemburgs geschlossen werden. Für letzteren Schritt wurden insgesamt 118 handschriftliche sowie gedruckte Dokumente in verschiedenen Archiven (Nationalarchiv Luxemburg, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Staatsarchiv Belgien, französisches Nationalarchiv) gewonnen.

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