Dem C.M Spoo seng vergiessen November-Ried
Die von Caspar Mathias Spoo am 9. Dezember 1896 im Parlament gehaltene Rede, in der er für den Gebrauch der Luxemburger Mundart im Parlament plädierte, gilt als Meilenstein in der Luxemburger Sprachgeschichte.[1] Doch bereits in der ersten Sitzung nach seiner Wahl am 10. November hatte er sich auf Luxemburgisch zu Wort gemeldet. Diese bislang kaum beachtete November-Rede ist von Interesse, da sie Auskunft gibt über die politischen Intentionen von Spoo und da sie zu jener Zeit das seltene Beispiel eines luxemburgischen Textes in einer offiziellen Publikation darstellt. Als solches muss der Kammerbericht angesehen werden, in dem die Rede und die sie unterbrechenden luxemburgischen Wortwechsel abgedruckt sind.[2]
Spoos Motivation war nicht primär sprachpolitisch, sondern demokratisch. In einer Zeit, in der aufgrund des Zensuswahlrechts eine kleine Elite von Notabeln, Industriellen und Landbesitzern die Macht im Staate unter sich aufteilte, war der Autodidakt und Selfmademan zusammen mit seinem Mitstreiter, dem Arzt Michel Welter, im Escher Kanton angetreten, um nicht nur das allgemeine Wahlrecht sondern auch eine progressive Besteuerung und eine allgemeine Sozialversicherung zu fordern. In der ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode müssen die neuen Abgeordneten einen Treueeid ablegen. Doch Spoo setzt sich über das Ritual hinweg, indem er nicht wie die anderen einfach die Eidesformel sprach, sondern gleich zu einer nicht auf der Tagesordnung vorgesehenen Rede anhob, um eine Verfassungsänderung und die Einführung des allgemeinen Wahlrechts zu fordern. Dies machte er wie selbstverständlich in der Sprache seiner Wähler und die anderen Abgeordneten waren wegen des Unerhörten dieses Vorgangs und der Radikalität der Forderung so überrumpelt, dass niemand auf die Idee kam, den Gebrauch des Luxemburgischen zu monieren. Im Gegenteil, einige antworteten auf Luxemburgisch und der Schlagabtausch wurde im Kammerbericht in dieser Sprache protokolliert. Deshalb seien hier auch längere Auszüge aus diesem Bericht abgedruckt.
Ein formales Problem lieferte Spoo den Vorwand für seine Intervention. Die Eidesformel lautete gemäß Art. 57 der Verfassung. „Je jure fidélité au Roi-Grand-Duc, obéissance à la Constitution et aux lois de l’Etat.“ Seit 1890 hatte das Großherzogtum mit Adolph von Nassau-Weilburg einen eigenen Großherzog und musste sich nicht mehr einen König-Großherzog in Personalunion mit den Niederlanden teilen. Deshalb, argumentierte Spoo, müsse die Verfassung geändert werden, in der 43 Mal die falsche Bezeichnung des Souveräns stehe. Schlimmer. Seit 6 Jahren würde weiter Recht im Namen eines König-Großherzogs gesprochen, den es nicht mehr gäbe und wegen dieses Formfehlers seien alle Urteile null und nichtig. Diese Argumentation war in fein geschliffener Luxemburger Mundart vorgetragen, wie folgendes Zitat, in dem Spoo sich zur Verfassung als Fundament des Staates bekennt, zeigt:
Die Rede wird unterbrochen von Zwischenrufen, die im Protokoll stichwortartig vermerkt sind „Protestations – Interruption.“ „Protestation, hilarité!!“ usw. Man darf davon ausgehen, dass die Auseinandersetzung auf Luxemburgisch geschah, wie andere Teile des Protokolls zeigen. Wenn z.B. der Vorsitzende versucht, das Heft wieder in die Hand zu nehmen:
M. le Président. Här Spoo, wëll der den Eed leeschten oder net?
M. Spoo. Ech well meng Explikatioune ginn; a fënnef Minutten sinn ech fäerdeg.
VOIX. Assez! – Si tout le monde en faisait autant! – Mir sinn net dofir hei!
M. Spoo. Ech fure virun….
M. Hess. Wann d’Chambre et erlaabt.
Spoo wartet nicht auf eine Erlaubnis, sondern fährt einfach weiter. Es kommt noch zu einem förmlichen Rededuell auf Luxemburgisch mit drei Abgeordneten, die Spoo mit seinen eigenen Waffen schlagen wollen und ihn auf eine Formalie der Verfahrensordnung hinweisen, er würde seine Reden nicht vom dafür vorgesehen Platz halten:
Aber eigentlich geht es Spoo nicht um Formalien, sondern um die Umsetzung des ersten Punktes seines Wahlprogramms, das allgemeine Wahlrecht. Deshalb müsse der Artikel 52 der Verfassung, in dem das Zensuswahlrecht festgeschrieben wurde, geändert werden.
Spoo wird seinen Eid nach der in der Verfassung vorgeschriebenen Eidesformel in französischer Sprache ablegen und das Parlament geht mit der Wahl des Kammer-Büros zur Tagesordnung über. Das Luxemburger Wort vom 11. November 1896 erwähnt in seiner Berichterstattung die „seltsame Jungfernrede des Herrn Spoo“, jedoch ohne diese weiter zu beschreiben oder zu kommentieren.
In den folgenden Tagen wird der neugewählte Kammerpräsident Simons Spoo in einem privaten Gespräch zur Ordnung rufen, er solle dem Unmut vieler Abgeordneter nach seiner ersten Rede Rechnung tragen und auf sein Ansinnen, im Idiom des Landes (dans l’idiom du pays) zu sprechen, verzichten, als Gegenleistung würde man ihm noch einmal erlauben – „à titre de transaction“ –, seine Argumentation auf Luxemburgisch vorzutragen. Dieses Gespräch ist bekannt, weil Simons es mit folgenden Worten in der Kammersitzung vom 9. Dezember 1896 wiedergibt:
Spoo wird die unter dem Titel Heemechstsprooch in die Sprachgeschichte eingegangene Rede halten dürfen und nach einer ausgiebigen Diskussion als einziger für seinen Antrag stimmen, der mit 30 Gegenstimmen, bei einer Enthaltung abgeschmettert wird.
Die erste Rede von Spoo in der Eröffnungssitzung vom 10. November sowie die Zwischenrufe sind im Kammerbericht auf Luxemburgisch veröffentlicht. Der Typograph gab sich die Mühe, mit Hilfe von diakritische Zeichen Lettern zusammenzusetzen, die es weder in seinem deutschen noch in seinem französischen Setzkasten gab, um die typischen Luxemburger-Diphthonge darzustellen (z. B. das Dachzeichen über „au“ und „uo“).
In der Dezember-Sitzung wird allerdings die Unmöglichkeit, das Luxemburger Idiom korrekt zu schreiben und zu drucken als ein Argument gegen seine Benutzung genannt und die berühmte Rede wird lediglich in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Erst nach dem zweiten Weltkrieg wird das Luxemburgische zur gängigen Sprache der Reden im Parlament und diese werden auch im Kammerbericht auf Luxemburgisch gedruckt. Nach vier Jahren ist die Aversion vor der deutschen Sprache soweit abgeflaut, dass die Luxemburgisch vorgetragenen Reden wiederum in deutscher Übersetzung veröffentlicht werden.[3]
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[1] Das Originalmanuskript der Rede und deren ausführlicher Kommentar findet sich in: Rinnen, Henri (1972): Viru 75 Jor. In Eis Sprooch 11 (1), S. 5–24. Hier ein Faksimile der ersten Seite. Siehe auch Atten, Alain u.a. (1987): Dossier Spoo. In Galerie : revue culturelle et pédagogique 5 (1).
[2] Compte-rendu des séances de la Chambre des Députés du Grand-duché de Luxembourg. Session ordinaire du 10 novembre 1869 au 28 juillet 1897 (1897). Luxembourg: Imprimerie V. Bück.
[3] Rinnen (1972), S 14.
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