Mehr oder weniger zufällig bin ich im Sommer 2018 auf eine bislang unbekannte umfangreiche Quelle zum Luxemburgischen aus dem Jahr 1885 gestoßen: Im letzten Drittel des 19. Jh. dokumentierte der Löwener Philologe Pieter Willems (1840-1898) zum ersten Mal die Dialekte des Niederländischen (im heutigen Flandern und den Niederlanden). Dieses Corpus Dialectmateriaal Pieter Willems ist lange bekannt und ist heute fester Bestandteil der Philologie des Niederländischen. Beim Durchsehen dieser umfangreichen Quelle (zu über 300 Orten mit 19.000 Seiten), fiel mir auf, dass Willems auch über den Rand des Niederländischen hinausblickte und einige Randdialekte aufnahm:
Het beeld voor beeld bekijken en verwerken is een arbeidsintensieve zaak die tot op dit ogenblik uitsluitend door ondergetekende is uitgevoerd. Het is de bedoeling dat ook het materiaal uit het Duitse Rijnland (+ de ene opname uit Luxemburg) uiteindelijk aan de verzameling wordt toegevoegd, maar om dat te realiseren zal een bijkomende geldstroom aangeboord moeten worden. (Quelle)
Die hier erwähnte Aufnahme zu Luxemburg stellt eine tatsächliche Überraschung dar und sie war meines Wissens nach auch bislang vollkommen unbekannt. Dieser Quelle hat sich nun als die umfangreichste Beschreibung eines Ortsdialektes des Luxemburgischen im 19. Jh. herausgestellt.
Das Originaldokument lagert in der Koninklijke Academie voor Nederlandse Taal- en letterkunde in Gent und es war möglich, das Original vor Ort direkt abzufotografieren. Das sehr gut erhaltene Heft im Oktav-Format enthält über 100 eng beschriebene Seiten mit einer weitgehend vollständigen grammatischen und lexikalischen Beschreibung des Ortes Waldbillig im Osten Luxemburgs. Das Heft enthält geschätzt ca. 15.000 (!) Einzelinformationen und ist durch die Vorgabe von Pieter Willems in verschiedene grammatische und lexikalische Bereiche gegliedert.
Über den Autor gibt das Heft selbst wenig Auskunft. Das Titelblatt gibt lediglich an Dialect van Waldbillig (Luxemburg) bewerkt door (Naam en voornaamen) Terrens.
Mit Hilfe der Nachfahren der Familie Terrens in Antwerpen konnten die Lebensumstände von Terrens weitgehend rekonstruiert werden (Herzlichen Dank an Ivo Terrens!). Es handelt sich mit höchster Wahrscheinlichkeit um Jean Terrens, geboren am 1. August 1859 in Waldbillig, gestorben im Alter von 86 Jahren am 15. Februar 1945 in Borgerhout bei Antwerpen, Sohn des Bürgermeisters von Waldbillig. Nach seiner Schulzeit am städtischen Athénée begann Jean Terrens Anfang der 1880er das Studium der Philosophie und Sprachen an der Universität Löwen. Einer seiner Professoren dort war Pieter Willems und es ist wahrscheinlich, dass über diesen Kontakt Terrens motiviert wurde, dass Willemssche Dialekt-Fragebuch auszufüllen.
Die folgende Beispielseite illustriert den Aufbau des Heftes. Eingeklebt sind jeweils die von Pieter Willems vorgegebenen ‚Fragen‘ auf Niederländisch, die dann nach bestimmten Regeln in den jeweiligen Dialekt zu übersetzen waren. Konkret geht es in diesem Beispiel um die Flexion zahlreicher Adjektive, die nach den drei Genera flektiert eingetragen werden sollte (z.B. e gèkege Mann, èng gèkech frâ, e gèkecht kand).
Neben der Aufnahme der Wenkersätze durch John Meyer (1888) und Richard Huss (1924/25) liegt damit eine weitere wichtige Quelle zur Rekonstruktion nicht nur des Waldbilliger Dialekts, sondern auch des heutigen Luxemburgischen vor. Eine Publikation zur Texterschließung und dialektologischen Einordnung dieses wertvollen Fundes ist in Vorbereitung.
Die gesamte Quelle wurde mittlerweile digitalisiert und wird hier der interessierten Öffentlichkeit und Fachwelt zur Verfügung gestellt.
Hallo Peter!
Ech felicitéieren! Dat ass jo e supet interessanten a wäertvolle Fonnt!
Sonja Bley