Im Luxemburgischen gibt es für den Maikäfer eine Reihe von Synonymen und Spielformen. Dies lehrt uns ein Blick ins LWB. Im Folgenden sollen die etymologisch interessantesten Bezeichnungen herausgegriffen und besprochen werden.
Kiewerlek, Kiewerlenk
Die frequenteste Bezeichnung Kiewerlek, seltener Kiewerlenk, m. setzt sich zusammen aus mhd. këvere, këver swstm. ‘Käfer’ und dem Suffix mhd. –linc. Dass das Suffix -lek, -lenk bevorzugt auch an Insektennamen angehängt wird, zeigt z. B. lb. Päiperlek, -leng, -lenk m. ‘Libelle’, als Erweiterung von Päipel m. ‘Schmetterling’.
Zum Lautlichen des Suffixes gilt Folgendes zu bemerken: Durch Senkung von i zu geschlossenem e vor velarem Nasal und dessen fakultativen Ausfall vor stimmlosem velarem Verschlusslaut hat das Suffix im Luxemburgischen vielfach -lek ergeben. Denselben Vorgang zeigen z. B. das Toponym mhd. Œsselinc > standardnhd. Ösling, lb. Éislek (neben Éisselenk), ferner die Appellativa mhd. küninc (neben jüngerem künic) > lb. Kinnek m. ‘König’, oder mhd. vlügel + linc > lb. Flillek, Flillenk m. ‘Flügel’. Lb. Kiewerlek, Kiewerlenk entspräche somit einem schriftdeutschen „Käferling“. In der Tat wird dieses Wort auf einer Karte im RhWB genau so veschriftlicht:
Auf der Basis von Kiewer wurden weitere Varianten gebildet (zur genauen Verbreitung, siehe LWB):
Kiewelek: wohl direkt aus Kiewerlek mit assimilatorisch bedingtem Schwund von r.
Kiewerek: entweder ebenfalls direkt aus Kiewerlek, doch in diesem Fall mit assimilatorisch bedingtem Schwund von l, oder, und das ist wahrscheinlicher, aus Kiewer mit dem Suffix mhd. -inc.
Kiewernéckel: wohl mit lb. Néckel für Nikolaus und demnach pejorativ wie in Pomper-, Stouss-, Toznéckel (als Eigen-, Zuname in Schimpfwörtern), Haansnéckel (für einen alten Junggesellen oder Trottel).
Kieweker: wohl kontrahiert aus *Kiewereker „Käferinger“. Außerdem könnte der Ausgang -er zusätzlich in Anlehnung an Bezeichnungen wie Houseker m. u. a. Bezeichnung für den Knecht Ruprecht oder Kéisecker m. ‘Igel’ zu Stande gekommen sein.
Kierwer, Kierwerlek, Kierwelek: Da der Maikäfer zu den Kerbtieren (Insekten) gehört, zeigen solche Bezeichnungen Einblendung von lb. Kierf f. ‘Kerbe’.
Kierbelchen n. f.; Kierbelek, Kierblek, Kierplek: Diese Varianten mit b (> p) statt mit w zeigen dagegen wohl Einfluss von lb. Kierbelchen f., das unter anderem ‘Eichelnäpfchen’, also ‘Napf, in dem sich die Eicheln befinden’, bedeutet. In diesem Fall läge eine metonymische Bedeutung vor.
Das Insekt ist nämlich auch als Eichelfresser bekannt; und daher findet sich die Eichel bzw. Eiche als Benennungsmotiv auch in anderen Synonymen:
Äächebëser, -bëseler, -bëserer: mit lb. Ääch (modern: Eech) f. ‘Eiche’ und lb. bëselen ‘wild umherrennen’.
Äächefrësser: Eichenfresser.
Ääche(l)kiewer, -déier, -krécher: Eichen-/Eichelkäfer, -tier, -kriecher (lb. Krécher bedeutet eben auch ‘Käfer’).
Äächekiepchen: In der Bedeutung ‘Eichhörnchen’ ist dieses Wort nur für Fels belegt; anderswo bezeichnet es das Eichhörnchen. Das Grundwort Kiepchen ist schwierig. Es könnte beispielsweise aus Kierbelchen f. ‘u. a. Eichelnäpfchen’ kontrahiert sein oder lb. Kiepchen f. ‘Käppchen’ entsprechen. Im letzteren Fall könnte eine Anspielung auf die Eichelhülse, lb. Äächelköppchen f., -döppchen n., vorliegen. Naheliegend speziell beim Maikäfer wäre darüber hinaus ein Vergleich der käppchen-, kupppenartigen Deckflügel des Insekts mit der Eichenhülse. Das Problem ist jedoch, dass Äächekiepchen sowohl in der Bedeutung ‘Eichhörnchen’ als auch ‘Maikäfer’ maskulines Genus hat, während lb. Kierbelchen und Kiepchen feminin sind. Allein aufgrund des Genus würde sich daher lb. Kiepchen m. ‘kleiner Rabe’, als Diminutiv von Kueb m. ‘Rabe’ anbieten. Doch dieser Begriff, der im übertragegen Sinne auch ‘Dummkopf’ bedeutet, würde im Zusammenhang mit ‘Maikäfer’ und ‘Eichhörnchen’ semantische Probleme bereiten. Wohl kaum dürfte die Metapher ‘Dummkopf’ in einem weiteren Schritt auf die beiden Tiere übertragen worden sein.
Aker-, Akeschësser: mit lb. Aker m. ‘Eichelmast, Eckerich’.
Kues(s)en-, Kuesten-, Kuesch(t)endéier: mit lb. Kues, Kuescht m. ‘Markbaum’ (knorrige, alleinstehende Eiche, Buche oder Birnbaum, der als Merkzeichen dient oder eine Grenze bezeichnet).
Der Begriff Kiewerlek wurde auch anfällig für weitere Umbildungen:
Giewelek, Gewelek: Diese Bezeichnungen zeigen Einblendung von lb. Giewel f. ‘Giebel’, weil die Maikäfer „laanscht d’Giewele fléien“.
Guewerlek, Guewelek: Auf der Basis von *Giewerlek (Kontamination von Kiewerlek und Giewelek) sowie Giewelek wurde hier das im Luxemburgischen kaum mehr gebrauchte Substantiv Guewel f. ‘Gabel’ eingeblendet. In diesem Fall sind das Benennungsmotiv des Tieres seine fächerartigen, gabelförmigen Fühler:
Quelle: Münchner Merkur, 30.04.2011
Weitere, auf den ersten Blick allenfalls nicht transparente Spielformen für den Maikäfer sind folgende:
Kriewe(r)lek: wohl mit dem r von lb. kriwwelen ‘krabbeln, kribbeln, jucken’. Vgl. auch lb. Kriwweler m. ‘u. a. Käfer’.
Maigisschen: mit lb. Gisschen f. ‘Geißchen’.
Mëllerdicks: mit lb. Mëller m. das nicht nur ‘Müller’ bedeutet, sondern im übertragenen Sinn auch den Maikäfer aufgrund der weißen Behaarung des Halsschildes bezeichnet. Das zweite Element –dicks ist unklar. Es könnte lb. Dicks entsprechen, das sonst nur als Pseudonym des Nationaldichters Edmond de la Fontaine (1823−1891) vorkommt. Mëllerdicks wird im Lb. kindersprachlich auch als Schimpfwort gebraucht.
Reine Spaßformen und daher wohl ohne nachvollziehbares Benennungsmotiv bzw. Etymologie sind dagegen:
Knuewelek: lb. Knuewelek m. ‘Knoblauch’
Mollermal: ?
Schëllerstéck: lb. Schëllerstéck n. ‘Schulterstück’.
Wäissgierwer: lb. Wäissgierwer m. ‘Weißgerber’.
Jene Bezeichnungen, die bereits auf den ersten Blick auch für Laien transparent sind, wurden hier nicht diskutiert. Ein nochmaliger Verweis auf das LWB möge an dieser Stelle genügen.
Insgesamt zeigt sich, dass der Maikäfer zu jenen Tieren gehört, dessen Bezeichnung besonders anfällig für volksetymologische Deformationen ist. Über etwaige Gründe könnte man spekulieren: Auf jeden Fall scheint der Maikäfer schon immer eine bestimmte Faszination auf den Menschen, besonders auf Kinder, ausgeübt zu haben. Hierbei dürften auch sein zyklusartigen Erscheinen (meist alle vier Jahre) und seine lediglich zweimonatige, dafür aber massenhafte Präsenz (Mai, Juni) eine Rolle gespielt haben.