Mat der friemer Sprooch iwwer d‘ Ouere geschlon
Am 9. Dezember hatte Caspar M. Spoo eine herbe Niederlage im Parlament hinnehmen müssen. In einer brillanten, in seiner „Hémechtssprooch“ gehaltenen Rede hatte er sich dafür eingesetzt, das Luxemburgische im Parlament und darüber hinaus vor Gericht zuzulassen. Diese in die Annalen der Luxemburger Sprachgeschichte eingegangene Rede war jedoch nicht nur ein Plädoyer für die Luxemburger Sprache, sondern ein Bekenntnis für die Demokratie und gegen die Notabeln, die die politische Macht fest in ihren Händen hielten. [1] So wundert es nicht, dass die Luxemburger Linke, soweit sie überhaupt ihre Traditionen pflegt, ihn auch für sich beansprucht und nicht den Sprachpflegern allein überlassen will. Davon zeugt ein vom Differdinger Volksbildungsverein zu Spoo’s 60. Todestag zusammengetragenes Dossier, dem folgendes Zitat entnommen ist:
„Spoo trat, als neugebackener Deputierter, gegen die auf französischen Stelzen einherwackelnden Perrückhelden auf, deren papiernen Reden die Gefühle des aufrechten und selbstsicheren Autodidakten verletzen mussten. Fest steht aber auch: Spoo führte Gründe an, die ihn dazu bewegten, die Belange des Dialektes zu verteidigen. Und diese Gründe sind weitherziger und mithin menschlicher als jene der nationalistischen Herrenreiter: (…)Der Mensch, auch und besonders als homo politicus, soll sprechen wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Wer eine Bildungssprache benutzt, entfernt sich vom Volke, ist ein künstlicher und unehrlicher Maulheld, der einen gewissen Wert darauf legt und allen Grund dazu hat, vom Volke nicht verstanden zu werden. Spoo weiss, »datt ons Lëtzebuerger Vollek laang genug, jo viII ze laang mat der friemer Sprooch iwwer d‘ Ouere geschlon as gin«. Und er trifft, für damalige Verhältnisse, den berühmten Nagel mit dem Schlage seines rhetorischen Fragezeichenhammers genau auf den empfindlichen Kopf: »As dat moralesch erlaabt, datt iwwert Hab a Gutt, Eier a Gléck, Liewen an Dout vun de fräie Lëtzebuerger Biirger an enger Sprooch pledéiert an ofgeuurtelt gët, déi, néng Zéngtel dervun nët verstin?« Es war für Spoo also letztlich eine Frage demokratischer Gesinnung! Und so war es auch nicht verwunderlich, dass sein legendärer Auftrag durchfiel: Die Herrschaften hatten nicht das geringste Bedürfnis allgemeinverständlich über Dinge zu verhandeln, die sie ausschliesslich von ihrem eigenen Standpunkt aus betrachtet und verstanden wissen wollten.“[2]
Pour ouvrir les yeux au pays – ah, que je voudrais donc pouvoir parler en luxembourgeois
Am 9. Dezember 1896 wurde sein Ansinnen, Luxemburgisch als Parlamentssprache einzuführen, abgeschmettert. Doch tags darauf steht er schon wieder auf der Tribüne und hält eine große Rede zum Staatshaushalt, nicht etwa auf Deutsch, sondern auf Französisch, das damals als Bildungsbeweis galt.
Gleich zu Beginn seiner Rede zitiert er eine Strophe (auf Luxemburgisch) aus Michel Lentz’ „Feierwon“, was das Auditorium mit Lachen quittiert.
Er wird noch einmal auf das Sprachenthema zurückkommen, um zu bedauern, dass er nicht Luxemburgisch reden darf: „Pour ouvrir les yeux au pays – ah, que je voudrais donc pouvoir parler en luxembourgeois! Mon Dieu ! (Rires) Enfin Messieurs, pour ouvrir les yeux du pays, j’ai eu l’idée d’établir une comparaison entre nos budgets des recettes, à partir du temps de l’origine de notre chant national, de l’année 1858, l’année avant le premier chemin de fer jusqu’à nos jours.“
Wenn er schon nicht die Sprache des Volkes sprechen darf, so sollen die Zahlen sprechen. Mit einer Berechnung der Staatseinnahmen und Ausgaben seit der Einführung der Eisenbahn weist er die ungerechte Verteilung der Steuerlast nach. Die Schaffenden tragen die Hauptlast eines ständig wachsenden Staatshaushaltes, ohne davon einen Nutzen zu haben.
„Ainsi les gens du travail, les gens de labeur sont forcés de subvenir dans le Luxembourg à la machine gouvernementale, à la justice, aux arts, à l’industrie, au commerce, et avant tout, aux frais de notre instruction supérieure. (…) Et qu’en résulte-t-il pour lui [le pauvre]! La pauvreté, la misère, les maisons correctionnelles et la prison.“
3000 Franken für ein Wörterbuch
Als Antwort auf die Abstimmungsniederlage erschien in Chicago die „Luxemburger Nationalzeitung“ mit einem breiten Trauerrand[3], in Luxemburg hielten die Reaktionen sich in Grenze oder wie Fernand Hoffmann schreibt: „Noch war die Zeit nicht reif für die Luxemburger, um für ihre Sprache auf die Barrikaden zu gehen.“[4] Im Luxemburger Wort vom 11.12.1896 erschien allerdings eine wohlwollende Leserzuschrift, in der von einem von der Regierung abgelehnten Vorstoß zur „Einführung der Luxemburger Sprache als Lehrgegenstand in unsern Schulen“ die Rede ist. Geht dieser etwa auch auf das Konto von Spoo? Vielleicht während der Traktationen zwischen der ersten Rede am 10. November und der zweiten am 9. Dezember? Die Einführung der Luxemburger Sprache in die Primärschule im Jahre 1912 wird oft als Spoo’s nachträglicher Sieg dargestellt.
Der kurze Leserbrief schließt mit der Feststellung: „Eine Grammatik und ein Wörterbuch sind nothwendig, wenn unsere Sprache sich erhalten soll, und Pflicht der Landesvertretung ist es, zu solcher Arbeit aufzumuntern“. Dieser Wunsch wird nicht unerhört bleiben und es dauert nur zwei Monate bis das Parlament am 19. Februar 1987 „ein Kredit von 3000 Franken zur Verfügung (…) stellt, behufs Sammlung und Aufzeichnung unseres nationalen Sprachschatzes.“ Nach weniger als zehn Jahren wird das Wörterbuch 1906 erscheinen.[5] Dass es nicht nur eine zeitliche sondern eine kausale Verbindung zwischen Spoo‘s Rede und diesem für eine zukünftige Weiterentwicklung der Sprache wichtigen Werk gibt, kann man aus seiner Präsenz in der Arbeitsgruppe schließen.
In einer wohlwollenden Anmerkung zum Leserbrief zieht die Zeitungsredaktion eine Parallele zwischen Spoo‘s Intentionen und den Aktivitäten des Antwerpener Abgeordneten Edward Coremans, der am 27. November 1888 als erster Flämisch im belgischen Parlament geredet hatte.[6] Im Gegensatz zu den Luxemburger Abgeordneten hatten die belgischen das Flämische nicht im Parlament verboten, doch hörte man es trotzdem nur sporadisch. Bei seiner ersten Rede gab Corelmans an, es aus Höflichkeit gegenüber den wallonischen Kollegen nicht zu gebrauchen,[7] der wahre Grund mag jedoch strategischer Natur gewesen sein. Wollte man diese überzeugen Gesetze zugunsten der Flamen zu votieren, musste man eine ihnen geläufige Sprache gebrauchen. Darin zeigt sich ein Unterschied zu Luxemburg, wo es sich nicht wie in Belgien zwei, oder gar drei Sprachgemeinschaften, wenn man die 52.000 Bewohner des Arloner Landes, die einen deutschen Dialekt („un patois très éloigné de sa langue littéraire, qui est l’allemand“) reden [8], mitrechnete.
Wenn die Wort Redaktion von einem Erfolg redet, den Corelmans 66 Jahre nach der Gründung des belgischen Staates erreicht hat, dann ist damit die Abstimmung im Parlament vom 19. November 1896 gemeint, zu Gunsten des Flämischens als gleichberechtigter Gesetzessprache: „Dorénanvant donc les lois et les arrêtés royaux seront publiés également en flamand; et ce texte flamand sera obligatoire, officiel, au même titre que le texte français.” Eine Entscheidung, die allerdings vom Senat noch zwei Jahre blockiert werden wird. In Luxemburg verläuft die Entwicklung gegenläufig: anfangs gab es eine zweisprachige Gesetzgebung, die allerdings im Laufe der Jahre informell außer Kraft gesetzt wurde und erst 1984 wurde die Praxis Französisch als alleinige Gesetzessprache in Luxemburg zu gebrauchen im Gesetz festgeschrieben.
Die Redaktion des Wortes schließt mit der Voraussage, dass die durch die Privatinitiative gepflegte, verbesserte und gereinigte Sprache des Volkes ihren Fuß über die Schwelle des Parlaments setzen und dort das „Gutdeutsch“ ablösen werde. Es wird bis 1945 dauern, bis zur Neukonstitution der Kammer nach dem zweiten Weltkrieg. Dann wird das Deutsche aus dem Parlament verbannt und durch das Luxemburgische ersetzt werden.
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[1] Siehe auch meinen BLOG-Beitrag: Virun 117 Joer en Eclat an der Chamber.
[2] Differdinger Volksbildungsverein (1974): Dossier Spoo, Differdingen, S. 70 (auch veröffentlicht im Phare, der kulturellen Beilage des Escher Tageblattes am 16. März 1974).
[3] Am 7. Januar 1897, nach Rinnen, Henri (1972): Viru 75 Jor. In Eis Sprooch 11 (1), S. 5–24., hier S. 14.
[4] Hoffmann, Fernand (1987) Spoo und die Folgen, In Galerie : revue culturelle et pédagogique 5 (1), S. 40-61, hier S. 50. Dort findet sich auch eine ausführliche Besprechung der Rede.
[5] Von der ersten Ankündigung bis zur Besprechung bei dessen Erscheinung wird das Luxemburger Wort regelmässig darüber berichten, z.B. 6.28.1897; 29.12.1900; 18.7.1901; 6.4.1907.
[6] Witte, Els; van Velthoven, Harry (2011): Les querelles linguistiques en Belgique. Le point de vue historique. Le Cri: Bruxelles, S. 61
[7] Die Sitzungsprotokolle des belgischen Parlaments sind im Internet zugängig. : Messieurs, si nous ne nous servons pas tous les jours du flamand au sein du parlement, c’est par courtoisie, par déférence pour nos collègues wallons.
[8] Als solches wurde das Luxemburgische am 11. März 1898 bezeichnet.
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