Einige Tage nach dem Staatsbegräbnis für den Dichter Michel Lentz am 10. September 1893 erscheint in der Kölner Zeitung ein Nachruf, der in Luxemburg für Empörung sorgen wird. Obwohl es ihn als „geringschätzende Beleidigung gegen uns Luxemburger“ empfindet, druckt das Luxemburger Wort ihn am 6. Oktober unter dem ironischen Titel „Preußenlob auf Michel Lentz“ auszugweise ab.
Die Kölner Zeitung sieht den Ruhm des Dichters nicht in seiner literarischen Leistung, sondern in seiner politischen Gesinnung und der Ablehnung einer „Verschluckung“ durch Preußen begründet. Die Luxemburger werden als ein Völkchen beschrieben, das „nur der Alltagsprosa lebt und das sonst für Poesie und überhaupt für literarische Dinge sozusagen nichts übrig hat“. Luxemburgisch wird dort als „rauher, holperiger“ Dialekt, ja sogar als „Negerdialekt“ beschrieben, der des Dichters Aufgabe nicht erleichtert habe: „Für das über das Alltägliche Hinausragende und für die Welt der höhern Gedanken gab es keine Wörter in dieser Mundart, die dürftig war wie ein Negerdialekt. Viele Gebildete suchen die Lücken noch heute durch französische Wörter auszufüllen, und so kommt es, daß der Dialekt nur im Munde der Ungebildeten rein erklingt, während er im Munde der meisten Gebildeten zu einem gräßlichen Wechselbalg wird. Für jeden, der Sprachgefühl besitzt, ist es eine wahre Qual, den hier zu Tage geförderten sprachlichen Mischmasch anhören zu müssen.“
Die Empörung muss groß gewesen sein, da selbst der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 6. Oktober gegen diesen Artikel protestiert hat. Das Luxemburger Wort nimmt den Dichter mit zwei Hauptargumenten in Schutz. 1) Lentz habe nicht nur Politisches geschrieben und seine vielen anderen Gedichte seien auch beliebt und würden von vielen gesungen. 2) Dass seine Gemüthstiefe, „nicht spezifisch luxemburgisch, sondern deutsch“ sei, wie die Kölner Zeitung schreibt, will es nicht gelten lassen: „Wohl verdankt Lentz seiner Gemüthstiefe manch goldenes Wort und manchen rührenden Vers, aber dieses Gold ist kein preußisches Gold und diese Rührung ist nicht Leihgut der deutschen Muse. Das Luxemburger Volk hat als Nation mit eigenem Dialekt, eigene, wir möchten sagen nationale Gemüthsschätze. Lentz, als Kind dieses freien, unabhängigen Volkes, hat von ihm diese Gemüthsfülle geerbt, und sie sprudelt in frischer Fülle in seinen Liedern.“
Die hier gebrauchte, etwas seltsame Begriffskombination der „Nation mit eigenem Dialekt“ ist ein weiterer Beleg für die Tatsache, dass in Luxemburg das Nationalgefühl dem Bewusstsein, Luxemburgisch stelle eine eigene Sprache dar, vorausgegangen ist.
Die Gym (Société de Gymnastique), der hauptstädtische Geselligkeitsverein, dessen Mitglied Lenz gewesen war, lädt am 15. Oktober zu einer Versammlung ein, anlässlich derer „an die 30, meist hauptstädtische, Gesellschaften“ noch einmal gegen die Kölner Zeitung protestieren und eine Subskription für ein „National-Denkmal“ zu Ehren des Dichters beschließen. Der Aufruf sowie die zahlreichen Spendenlisten werden von Luxemburger Wort veröffentlicht.
Zwei Jahre früher hatte sich schon beim Tode von Dicks, einem anderen Mitglied der Gym, ein Denkmalcomité konstituiert. Im Dezember 1893 werden beide, wahrscheinlich auf Anregung des Staatministers Eyschen, fusionieren und zehn Jahre später kann das Denkmal eingeweiht werden und bei dieser Gelegenheit wird Paul Eyschen, der noch immer Staatsminister ist, die Luxemburger Sprache als Grundlage der Luxemburger Nation feiern: „Ons Sprooch, dat as dem Vollek säi Geescht, de Lëtzebuerger Geescht.“