Zu Schreibweise und Auswahl der Belege siehe die allgemeine Anmerkung am Ende des Textes.
Beinahe möchte man glauben, dass es sich hierbei um einen frühen Reklamespruch für ein Waschmittel handelt, der modernen Werbetextern den Neid in die Tastaturen spült. Aber weit gefehlt! Es geht gar nicht um Sauberkeit, sondern um das Reisen und die Erfahrungen, die man dabei machen kann. Denn: Reisen bildet! Wer viel herumkommt und viel von der Welt sieht, ist auch in der Lage, mit schwierigen Situationen fertig zu werden und schreckt vor Unbekanntem nicht zurück.
Die Erfahrung, dass Weltoffenheit zu Kompetenzen führt, machte man schon früh: Wer auf Reisen ging, berichtete von fremden Ländern und Völkern, von außerordentlichen Begebenheiten, von abenteuerlichen Unternehmungen, und belehrte die Daheimgebliebenen. Allen Reiseberichten gemein ist die Darstellung der Wahrnehmung von Eigenem und Fremden und der Umgang damit. Eine ganz besondere Gruppe bilden dabei die Berichte von Seeleuten, deren Geschichten oft so sonderbar waren, dass man ihnen keinen Glauben schenkte. Dann sprach man auch vom sogenannten ‚Seemannsgarn‘, welches auf langen Reisen an Deck gesponnen wurde. Dennoch galten Seeleute als besonders kundig, vor allem wenn sie verschiedene Weltmeere befahren hatten. Und genau dann waren sie auch mit vielen unterschiedlichen Wassern der Meere in Berührung gekommen, also „mit allen Wassern gewaschen“.
Bei so viel Internationalität ist es interessant, den Nachbarn mal ein Ohr zu schenken. Im Spanischen sagt man im vergleichbaren Kontext etwa „tener muchas conchas“ (was wörtlich heißt: viele Muschelschalen besitzen) – und die konnte man trefflich auf Seereisen sammeln! Auf Französisch heißt es „avoir plus d’un tour dans son sac“, also sinngemäß: auf mehr als eine Reise zurückblicken können. Die zugrunde liegende Vorstellung einer besonders vielfältigen Reise- und dadurch auch Lebenserfahrung deckt sich mit der luxemburgischen und deutschen Vorstellung aus der Redewendung.
Wer also nur zu Hause hinterm Ofen hockt, wird auf Unbekanntes kaum adäquat reagieren können. Die Fähigkeit, mit Menschen anderer kultureller Hintergründe angemessen umzugehen, nennen wir heute „interkulturelle Kompetenz“ und bezeichnen damit eine berufliche Schlüsselqualifikation. Gerade in Luxemburg dürfte diese Redewendung eigentlich von besonders großer Bedeutung sein: nach der letzten Eurostat-Studie (September 2010) sind 43,5% der hier ansässigen Bevölkerung Zugezogene. Tagsüber ist das Bild sogar noch internationaler geprägt, denn von den knapp 330000 Arbeitsstellen im Land werden ca. 47% von Grenzgängerinnen und Grenzgängern aus dem benachbarten Frankreich, Belgien und Deutschland bedient. „Interkulturelle Kompetenz“ bzw. „mit allen Wassern gewaschen zu sein“ dürfte für ein zufriedenes und leistungsfähiges Land mindestens genauso wichtig sein wie Fremdsprachenkompetenz – auch wenn es hier in Ermangelung einer Küste nur wenige Seefahrer gibt…
Ane Kleine-Engel, Robert Clees
Typ: |
Idiom |
Quelle: |
LWB |
Lux. Nennform: |
Mat all Waasser gewäsch sinn |
Dt. Nennform: |
Mit allen Wassern gewaschen sein |
Bedeutung: |
Welterfahren sein; raffiniert, gewieft, erfahren sein; gerissen, durchtrieben, ausgebufft sein. |
Varianten: |
LWB s.v. Ouer: en huet et fauschtendéck hannert den Oueren. |
LWB s.v.
Waasser: 1)a. […] en as mat all Waasser (alle Waasser, alle Waassere) gewäsch (s. wäschen).
Ouer: 1) […] — du bas jo nach nët dréchen (s. d.) hannert den Oueren […] — en huet et fauschtendéck hannert den Oueren. [dgl. s.v. hanner(t)]
kënneg: 1) «vertraut mit, erfahren in» — ech sin nët kënneg an dëser Gaass.
Welt: […] — en as wäit an der Welt erëmkomm — en huet e schéint Stéck Welt gesinn.
Allgemeine Anmerkung:
In der Rubrik Sproch vum Mount des Projekts DoLPh werden luxemburgische Redewendungen allgemeinverständlich in 400-Wort-Artikeln erklärt. Die Schreibweise der Belege richtet sich nach der jeweiligen Orthographie in den Originaltexten und historischen Wörterbüchern, aus denen sie entnommen sind, und ist nicht an die reformierte neue Rechtschreibung angeglichen. Somit wird der sprachhistorischen Ausrichtung des Projekts Rechnung getragen und verhindert, dass vom Sprachgebrauch in älteren Quellen irrtümlich auf die Verwendung im rezenten Luxemburgischen geschlossen wird.