Diese alte und heute fast ausgestorbene Bezeichnung für den Monat Februar findet Entsprechungen im Mittel- und Rheinfränkischen, im Niederdeutschen des Niederrheins, im Niederländischen und darüber hinaus im Siebenbürgischen. Vielfach kann das Substantiv auch feminines Genus haben und dabei zusätzlich mit dem Motionssuffix -in versehen werden, z. B. lb. Spierkel m., daneben Spierkelin f. als Personifizierung des Februars (LWB). In den Nachbarmundarten des Luxemburgischen gelten loth. Spirkel m. (LothWB), rhein. Spürkel m. (f. n.) (RhWB) sowie pfälz. Spurkel, Spürkel m. (PfWB). In der deutschen Schriftsprache erscheint das Wort als Sporkel m. (DWB). Ferner haben wir mhd. spurkel f., spurkelmānōt m. (Lexer), mnd. sporkelmānt, sperkel, mnl. sporkelmaent f. m., sporkelle, sporkel und nnl. sprokkelmaand (De Vries, S. 686; Kluge/Seebold, S. 869).
Der Begriff ist schon sehr früh in der Geschichte überliefert. Er begegnet uns in lateinischsprachigen Quellen des ausgehenden 7. oder beginnenden 8. Jhs. als spurcalia zuerst auf angelsächsischem und dann auf fränkischem Boden und bezeichnet ein im Februar stattfindendes Fest, das als Reinigungs- und Sühneopfer beschrieben wird (vgl. Caspari, S. 36). Mit der sprachlichen Herkunft dieses Ausdrucks haben sich schon zahlreiche Forscher beschäftigt. Die Mehrheit sieht ihn ihm einen mythologischen Hintergrund. Hier eine Auswahl der bisherigen Deutungsversuche:
{xtypo_sticky}Spierkel = Monat der springenden, berstenden Winterdecke?{/xtypo_sticky}
Karl Weinhold 1861, S. 57 deutet den Monatsnamen in einem profanen Zusammenhang. Er vergleicht ihn mit dem Adjektiv nl. und nd. sprock ‘springend, brechbar, spröde’, dem Substantiv nl. sprockel, sprockelhout ‘dürres Holz’ und erklärt ihn als ‘die springende, berstende, die Winterdecke durchbrechende Kraft des sich regenden Lenzes’.
{xtypo_sticky}Spierkel = Fest zu Ehren der germanischen Göttin Spurke?{/xtypo_sticky}
Karl Simrock 1887, S. 376 vermutet eine Ableitung von Spurke, dem Namen für eine germanische Göttin, der zu Ehren die Spurkalien, das ist nach Simrock die Zeit der Fasnacht, stattfanden. Simrock räumt jedoch ein, dass der Name für diese Göttin nicht belegt ist.
{xtypo_sticky}Spierkel = Schweinefest, Schmutzfest?{/xtypo_sticky}
Auch Caspari 1886, S. 36 geht davon aus, dass das Benennungsmotiv in der germanischen Mythologie zu suchen ist. Bei spurcalia handle es sich um eine Ableitung von animal spurcum ‘schmutziges Tier’. Mit dieser Umschreibung sei das Schwein gemeint, da dieses an lat. porcus ‘Schwein’ anklinge. Das Wort sei im Lateinischen analog zu anderen Festnamen gebildet, wie vulcanalia ‘Fest des Gottes Vulcanus’, neptunalia ‘Fest des Gottes Neptunus’, vestalia ‘Fest der Göttin Vesta’. Doch es gilt einzuwenden, dass diese -alia-Ableitungen an der Basis einen Götternamen haben, und insofern müsste es sich auch im Fall von spurcalia, worauf bereits Simrock indirekt hinwies, wennschon um eine Ableitung zu einem Götternamen (und nicht zu einem elliptischen Adjektiv) handeln.
Sehr ausführlich über das Fest der Spurkalien hat zuletzt Dieter Harmening 1979, bes. S. 150–152 geschrieben. Er greift den etymologischen Ansatz von Caspari auf und bestätigt, dass es sich bei den fraglichen Sühne- bzw. Reinigungsopfern um Schweineopfer handelte. Darauf deute nicht nur die sprachliche Nähe des Wortes zu spurcus ‘schweinisch, unflätig’ (animal spurcum ‘Schwein’) hin, sondern auch, dass in der Tat die römischen Reinigungsopfer zumeist Schweineopfer gewesen seien. Überhaupt seien heidnische Handlungen allgemein als spurcitiae gentilium, als ‘heidnische Unflätereien’ bezeichnet worden, und speziell im Zusammenhang mit den Spurkalien sei oft von dies spurci, d. h. von den schmutzigen Tagen, die Rede. Wie bereits Forscher vor ihm, ist auch Harmening der Auffassung, dass die spätlateinische Benennung spurcalia den Tadel durch die kirchliche Obrigkeit ausdrückte und möglicherweise für älteres lupercalia stehe, den Begriff für ein Reinigungs- und Fruchtbarkeitsfest der Römer, das am 15. Februar zu Ehren des Gottes Lupercus begangen wurde. Den Schluss, dass das genannte Fest den Germanen eigen war, kann Harmening nicht ziehen. Die Frage jedoch, warum spurcalia dann ausschließlich im Germanischen fortlebt, während es in den romanischen Einzelsprachen keine Reflexe zeigt, wird von Harmening nicht zufriedenstellend beantwortet.
{xtypo_sticky}Spierkel = Monat der sprießenden Knospen?{/xtypo_sticky}
Julius Pokorny, IEW, S. 996–997 vermutet als Benennungsmotiv das Sprießen der Knospen und knüpft daher mit seinem Deutungsvorschlag mehr oder minder an jenen von Karl Weinhold an. Die Wurzel sei idg. *(s)p(h)ereg- ‘zucken, schnellen’, ‘streuen, sprengen, spritzen’, zu der auch der semantisch ähnliche Begriff engl. spring ‘Frühling’ gehöre.
{xtypo_sticky}Bedeutung von Spierkel bleibt unklar{/xtypo_sticky}
In neuester Zeit ist die Etymologie von spurcalia nach wie vor umstritten. Während de Vries, S. 682 an der lateinischen Etymologie festhält, stellen Kluge/Seebold, S. 869 eine Ableitung von lat. spurcus ‘schmutzig, unflätig’ in Frage. Zu Recht? Aufgrund der mit Festnamen wie lupercalia nicht gleichzusetzenden Wortbildung und der Tatsache, dass das Wort in den romanischen Einzelsprachen nicht belegt ist, dürfen wir in der Tat zur Vermutung gelangen, dass es sich bei spurcalia im Sinne von ‘Schweine- oder Schmutzfest’ um eine sehr frühe Umdeutung durch die lateinischen Geschichtsschreiber handelt. Begünstigt wurde sie durch die lautliche Nähe zu lat. spurcus und durch die wohl unangebrachte Gleichstellung des durchaus germanischen Festes und damit auch eines germanischen Begriffes mit dem römischen Fest lupercalia.
Vielleicht sollte man aus den gennanten Gründen letztlich doch auf die germanistischen Deutungsvorschläge von Weinhold und Pokorny zurückgreifen und damit auf die bereits genannte Verbalwurzel idg. *(s)p(h)ereg- ‘zucken, schnellen’, ‘streuen, sprengen, spritzen’ (IEW, S. 996) bzw. nach neuerer Notation idg. *sph₂erhg- ‘id’ (Lühr, S. 157), *spʰerh₂g- ‘zischen, prasseln’ (LIV, S. 586). Eine entsprechende schwundstufige Bildung musste im Germanischen *spurk- ergeben. Doch ob diese mit Weinhold die springende Kraft des Frühlings oder mit Pokorny die sprießenden Knospen meinte, kann nicht entschieden werden. Eine dritte, in der Forschung bislang nicht berücksichtigte Möglichkeit, wäre jene, dass sich das Wort, ausgehend von der indogermanischen Grundbedeutung ‘zucken, schnellen’, auf bestimmte ggf. ritualartige Bewegungen der Feiernden bezog. Derartige Überlegungen bleiben jedoch spekulativ, zumal der Begriff spurcalia auch hinsichtlich seiner Wortbildung intransparent ist. Es müsste nämlich von einem Suffix germ. -alia- ausgegangen werden, das sonst im Germanischen noch nachzuweisen wäre.
Abkürzungen
bes. |
besonders |
engl. |
englisch |
f. |
feminin |
germ. |
germanisch |
‘id’ |
idem = gleichbedeutend |
idg. |
indogermanisch |
lat. |
lateinisch |
lb. |
luxemburgisch |
loth. |
lothringisch |
m. |
maskulin |
mhd. |
mittelhochdeutsch |
mnd. |
mittelniederdeutsch |
mnl. |
mittelniederländisch |
n. |
neutrum |
nd. |
niederdeutsch |
nl. |
niederländisch |
nnd. |
neuniederländisch |
pfälz. |
pfälzisch |
rhein. |
rheinisch |
Literatur
Caspari, Carl Paul: Homilia de sacrilegiis. Christiania 1886. URL: http://www.archive.org/stream/MN41409ucmf_4#page/n5/mode/2up
De Vries, Jan: Nederlands Etymologisch Woordenboek. Leiden/New York/Köln 1997.
DWB = Deutsches Wörterbuch. Von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. Leipzig 1854–1960. URL: http://www.woerterbuchnetz.de
Harmening, Dieter: Superstitio. Überlieferungs- und theoriegeschichtliche Untersuchungen zur kirchlichtheologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters. Berlin 1979.
IEW = Indogermanisches etymologisches Wörterbuch. Von Julius Pokorny. Tübingen und Basel 1959.
Kluge/Seebold = Kluge Friedrich/Seebold Elmar: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24. Auflage. Berlin/New York 2002.
Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bände. Leipzig 1872–1878. Nachdruck Stuttgart 1970. URL: http://www.woerterbuchnetz.de
LIV = Rix, Helmut: Lexikon der indogermanischen Verben. Wiesbaden 2001.
LothWB = Wörterbuch der deutsch-lothringischen Mundarten. Bearbeitet von Michael Ferdinand Follmann. Leipzig 1909. Nachdruck Hildesheim/New York 1971. URL: http://www.woerterbuchnetz.de
Lühr, Rosemarie: Expressivität und Lautgesetz im Germanischen. Heidelberg 1988.
LWB = Luxemburger Wörterbuch. Herausgegeben von der Wörterbuchkommission. 5 Bde. Luxemburg 1950–1975. Ergänzungsband 1977. URL: http://engelmann.uni.lu/infolux/de/forschung/woerterbuecher
PfWB = Pfälzisches Wörterbuch. Begründet von Ernst Christmann, fortgeführt von Julius Krämer, bearbeitet von Rudolf Post unter Mitarbeit von Josef Schwing und Sigrid Bingenheimer. 6 Bände. Wiesbaden / Stuttgart 1965–1997. URL: http://www.woerterbuchnetz.de
RhWB = Rheinisches Wörterbuch. Herausgegeben von Josef Müller, Heinrich Dittmaier, Rudolf Schützeichel und Mattias Zender. 9 Bde. Bonn/Berlin 1928–1971. URL: http://www.woerterbuchnetz.de
Simrock, Karl: Handbuch der Deutschen Mythologie mit Einschluß der nordischen. 6. Auflage. Bonn 1887. URL: http://www.archive.org/stream/handbuchderdeut01simrgoog#page/n4/mode/2up
Weinhold, Karl: Die deutschen Monatsnamen. Halle 1861.