Nachdem im ersten Teil die Grundlagen der akustischen Vokalbeschreibung vorgestellt wurden, soll nun ein Vergleich mit dem Vokalsystem des Deutschen als nahverwandte Sprache folgen. Dazu werden die Vokalsystem zweier luxemburgischer Sprecher einem System des Standarddeutschen (aus Iivonen 1993) gegenüber gestellt.

Um den Vergleich zu erleichtern, ist  zunächst eine Konvertierung der Hertz-Frequenzwerte in ein perzeptiv basiertes Format erforderlich. Dazu wird die sogenannte Bark-Einheit verwendet. Dadurch ist es leichter, die perzeptive Identität, Verschiedenheit und Distanz von Vokalrealisierungen besser zu beschreiben bzw. untereinander zu vergleichen. Vereinfacht ausgedrückt, werden Vokalrealisierungen, die hinsichtlich des ersten (F1) und zweiten Formanten (F2) innerhalb der Spanne von einem Bark variieren, vom Gehör als identisch wahrgenommen. Vokalrealisierungen, die weiter als ein Bark von einander variieren, werden vom Gehör als qualitativ verschiedenen wahrgenommen. Ein Beispiel: die Realisierungen von [e:] im folgenden Vokalsystem liegen (bis auf zwei) im Bereich zwischen 3 und 4 Bark für den F1 und 14 bis 15 Bark für den F2. Es kann davon ausgegangen werden, dass alle diese Vokalrealisierungen identisch als [e:] wahrgenommen werden. Die Schwa-Realisierungen hingegen, die eine Spanne von 3,5-5,8 Bark für den F1 und von 9,8 bis 12,8 Bark einnehmen, streuen über mehr als ein Bark und das Gehör wird hier zwei bis drei (minimal) verschiedene Realisierungen unterscheiden.

Die folgenden beiden Abbildungen zeigen nun also die Vokalrealisierungen für zwei jüngere Sprecher/innen des Zentralluxemburgischen in einem akustischen Vokalraum, der gemäß der Bark-Skala organisiert ist.

 

Die beiden Sprecher/innen weisen weitgehend ähnliche Systeme auf: Die [e:]-Vokale liegen überaus nahe an den [i:, i]-Realisierungen, was auf ein sehr geschlossenes [e:] hinweist. Die Schwa-Laute streuen in einem weiten zentralen bis frontiert-zentralem Bereich. Kurzes [ɑ] und langes [a:] fallen nicht zusammen, das kurze [ɑ] ist vielmehr nach hinten verlagert und etwas geschlossener.

Es zeigen sich aber auch interessante Unterschiede: Kurzes [e] (in Wörtern wie Bréck, Péng), das beim ersten Sprecher in der Nähe von [ɛ:] liegt, ist bei der zweiten Sprecherin deutlich geschlossener und kann als wirkliche Kurzversion von [e:] angesehen werden. Kurzes [æ] und langes [a:] liegen bei beiden Sprecer/innen sehr dicht beieinander. Bei der zweiten Sprecherin fallen die beiden Vokale allerdings praktisch zusammen. Dies hängt mit dem Grad der Frontierung des [a:] zusammen: Während beim ersten Sprecher [a:] mehr als zentral-offener Vokal anzusprechen ist, erscheint er bei der zweiten Sprecherin frontierter, wodurch der Zusammenfall mit [æ] begünstigt wird.

Vergleichen wir nun diese Systeme mit dem Standarddeutschen, um die phonetischen Unterschiede zwischen den beiden Sprachen akustisch erfassen zu können. Die folgende Analyse stammt aus Iivonen (1993) und basiert auf der Analyse von zahlreichen Sprechern des Standarddeutschen.

Wie im Luxemburgischen liegen auch im Deutschen [e:] und [i:] bzw. [o:] und [u:] sehr dicht beeinander. Allerdings sind deutsches [ɪ] und [ʊ] deutlich offener als luxemburgisches [i] bzw. [u]. Dies rechtfertigt es, im Luxemburgischen von einem Längenkontrast (kurze [i, u] vs. langes [i:, u:]) auszugehen, während im Deutschen Gespanntheit (gespanntes [i(:), u(:)] vs. ungespannte [ɪ, ʊ]) relevant ist.

Langes [ɛ:] im Deutschen und Luxemburgischen weisen keinen Unterschied auf; es ist ziemlich genau in der Mitte zwischen [e:] und [a:] lokalisiert.

Die massive Senkung von luxemburgisch [æ] im Vergleich mit dem deutschen kurzen [ɛ] ist augenfällig (und gut hörbar).

Während im Luxemburgischen [æ] und [a:] weitgehend zusammen gefallen sind, sind im Deutschen [a:] und [a] qualitativ kaum zu trennen (mittlere a-Qualität).

Kurzes [ɔ] des Luxemburgischen, das weit zwischen [ɔ] und [o] streut, ist dennoch deutlich geschlossener als deutsches [ɔ]. Hier wird weiter zu überlegen sein, welches Symbol für den ‚kurzen, halb-offenen, hinteren Vokal‘ im Luxemburgischen adäquat ist: [ɔ] oder [o]?

Der dritte Teil widmet sich dem reichen Diphthonginventar des Luxemburgischen.

 

Literatur

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